Unter Jaguaren

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Obwohl ich hier keine Besucher erwarte, entschließe ich mich den wahnsinnig schweren 25-PS-Motor abzumontieren und zum Zelt zu wuchten. Der 5000,-DM-Motor wäre einigen Spitzbuben sicher mehr Wert, als mein Leben.
PS: Und er war wirklich verdammt schwer :-)

Der heutige Tag war anstrengend genug. So entscheide ich mich, heute kein Holz zu sammeln, und auf ein Lagerfeuer gegen die Mosquitos zu verzichten. Wenn die Dämmerung mit den Mosquitos hereinbricht, würde ich mich im Zelt verschanzen und einfach mal zeitig schlafen gehen.


Statt Holz zu sammeln nutze ich die Zeit bis zum Sonnenuntergang noch zum Angeln. Ein Stück Fleisch an den Haken, und ... schon nach 30 Sekunden zappelt der erste Piranha an der Leine.

Jedoch schon der zweite Piranha beißt mir beim Einholen den Haken ab ... trotz Stahl-Vorfach! Also gebe ich das Angeln für heute auf und betrachte mir die Tier-Spuren am Strand. Drei-fingerige Krallen: sieht aus wie Capivaras. Der tiefe Handballen-Eindruck und vor allem die Bauch/Schwanz-Schleifspuren wissen es anders: Kaimane (bras: jacare)! Aber nicht nur ein paar ... der ganze Strand ist voller Spuren!

Sich gegen 1-2 Krokodile zu verteidigen - da gibt es viele Möglichkeiten. Wahrscheinlich würden sie sogar vor mir weglaufen. Aber 20 Krokodile ... von allen Seiten ... das ist mehr Abenteuer, als ich mir erhofft hatte.

Vielleicht noch 20 min bis Sonnen-Untergang und ... ich habe kein Holz gesammelt. Also flitze ich los so schnell ich kann und sammele doch noch einen beachtlichen Holzhaufen zusammen.

19:00 ... die Sonne geht unter ... die Dämmerung bricht herrein - und mit der Dämmerung auch die Mosquitos. Also verteile ich noch schnell ein paar kleine IR-Bewegungsmelder rund um's Zelt und verschanze mich hinter dem Mosquito-Schutz meines Zeltes.


Doch was mache ich, wenn sich die Krokodile jetzt nähern? Mir ist gar nicht wohl bei dem Gedanken, daß ich dann aus dem Zelt raus muß :-)
Vor dem Zelt steht jedoch schon alles bereit: Mein kleiner Scheiterhaufen, eine Tasse Boots-Diesel um ihn schnell zu entzünden, meine Machete und einiges weitere Selbstverteidigungs-Gerät. Das nimmt mir etwas die Sorgen, und ich versuche zu schlafen.

Ich bin halb eingeschlafen, da läßt mich ein Geräusch schlagartig hellwach werden! Ein tiefes Brüllen, wie ich es aus dem Löwen-Käfig von Tierpark und Zirkus kenne. Dort hatte es mich jedoch nie beunruhigt. Hier läßt mir das kurze, laute, tiefe Brüllen jedoch schlagartig das Blut in den Adern gefrieren. Wahrscheinlich weil kein Gitter zwischen uns ist.

Das Pantanal ist bekannt für seine Jaguare (bras: oncas) und der "gefleckte Jaguar" (bras: onca pintada) greift gern auch Menschen an. Bevorzugt einzelne Menschen.

Das Brüllen ist derart laut, daß ich ihn auf eine Entfernung von 50m schätze. Nur langsam wage ich, den Kopf aus dem Zelt zu stecken. Zum Glück scheint der Mond, so daß ich einen Radius von 100m überblicken kann: die Luft ist rein - kein Jaguar zu sehen. Also: raus aus dem Zelt und der Dunkelheit mutig gegenüber getreten!


Alles ruhig. Ist der Jaguar weiter gezogen?

Zu einfach um wahr zu sein. Nach 10 min höre ich ihn wieder ... aus einer etwas anderen Richtung. Die Entfernung schätze ich jetzt relistischer ein: auf vielleicht 300m.

Da stehe ich nun in der Dunkelheit ... eine Tasse Benzin in der einen Hand ... mit der anderen Hand Mosquitos schlagend.

Nach 15 min Ruhe beginne ich zu hoffen, daß er sich verzogen hat. Aber falsch ... da brüllt er wieder! Er ist jetzt sogar näher gekommen: vielleicht auf 150m.

So kann es nicht weiter gehen. Ich kann doch nicht die ganze Nacht hier stehen bleiben ... Mosquito-schlagend ... in die Dunkelheit starrend! Und wenn mich der Jaguar findet, hätte ich eh schlechte Karten: obwohl ich eine Menge Holz gesammelt habe und es erst bei Gefahr anzünden würde, würde es höchstens für drei Stunden reichen. Außerdem sind Jaguare sehr intelligent und wissen, wann sie einem Menschen überlegen sind. Und auf Bäune klettern und schwimmen können sie allemal schneller als ich :-)

All das spricht dafür, mit dem Boot abzuhaun. Dagegen spricht jedoch, daß der über-schwere Motor abmontiert 20m vom Boot liegt und es ohne Licht sicher nicht einfach wird ihn zum Boot zu schleppen und auch noch anzuschließen. Und was wird, wenn mir nach 100m Fahrt der Motor verreckt und ich an's Ufer treibe ... ohne Holzhaufen ...

Da brüllt wieder der Jaguar! Dabei habe ich schon längst mehr Adrenalin als Blut im Körper. Diesmal aus der anderen Richtung! War mich der Jaguar umgangen? Nein, zu einfach um wahr zu sein: ein paar Sekungen später brüllt es wieder aus der alten Richtung! Also zwei Jaguare, die sich gegenseitig rufen! Und ich mittendrin. Kein schöner Gedanke, daß sich die beiden gleich an meinem Rastplatz treffen.


Damit ist meine Entscheidung gefallen: ich will weg!

Ich packe den Motor und schraube ihn an's Boot. Der Motor scheint jetzt nur noch die Hälfte zu wiegen. Wahrscheinlich ist es das Adrenalin, das mir doppelte Kräfte verleiht. Kurzer Test: der Motor springt sofort an. Ich raffe Zelt und restliches Gepäck zusammen - springe in's Boot - und ab geht es in die dunkle Nacht.

Jetzt nur nicht auf eine der vielen Untiefen auffahren! Im Dunkeln habe ich wirklich keine Lust in's Wasser zu steigen, um das Boot wieder flott zu machen. In der Nacht sitzen die Kaimane mit weit geöffnetem Maul unter Wasser und warten darauf, daß ihnen ein Fisch zwischen die Kiefer schwimmt und den Reflex zum Zuschnappen auslöst. Dabei ist es ihnen sicher egal, ob es ein Fisch oder ein Touristen-Fuß ist. Also schön langsam Schritt-Tempo fahren, damit man bei einer Untiefe nicht zu fest auffährt und das Boot wieder flott bekommt, ohne auszusteigen.

Außerdem bin ich jetzt froh, auf der Hinfahrt die Fahrrinne per GPS markiert zu haben. Man darf sich nicht einen normalen Fluß vorstellen ... mit zwei geraden Ufern links und rechts. Es ist ein Überschwemmungsgebiet mit unzähligen Buchten und Verzweigungen. In der Dunkelheit, wo man kaum die Linie zwischen Wasser und Himmel erkennt, wäre ohne GPS kaum ein Heimweg zu finden gewesen.

GPS-
Position:
S 19° 01,5039'
W 57° 27,7292'
Gegen 22:00 erreiche ich die Einmündung in den Rio Paraguai! Ich war den Jaguaren entkommen.



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